Oberkirnach

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Oberkirnach im Spiegel der Geschichte

Ein Dorf stellt sich vor: mit seinen stolzen Gehöften, grünen Matten, stattlichen Feldern und Wäldern eine herbe Schönheit; auf lichter, von geschützten Tälern durchzogener Schwarzwaldhöhe gelegen - ein liebenswerter Ort! Sein Porträt bereitet Freude schon beim Schreiben und gewiss auch Spaß beim Lesen.

Feiert eine Gemeinde ihr Jubiläum -und das zu tun, hat sich Oberkirnach, mittlerweile Stadtteil von St. Georgen, für 1987 vorgenommen - stellt sich natürlich zunächst die Frage nach der urkundlichen Ersterwähnung. Ein solch kostbares Dokument kann für 1187 zwar (noch) nicht vorgewiesen werden, wohl aber für 1244; denn Kirnach sowie eine Adelheid von Kurna (eine aus Oberkirnach stammende Frau) sind in der aus jenem Jahr datierenden Gründungsurkunde von Vöhrenbach aufgeführt.

Dass man aber auf das hohe Alter von rund 800 Jahren zurückblicken kann, steht trotzdem fest. So schreibt Pfarrer Karl Theodor Kalchschmidt in seiner 1895 erschienenen »Geschichte des Klosters, der Stadt und des Kirchspiels St. Georgen auf dem badischen Schwarzwald« unter anderem: »Dem Namen Kürnach (das ist die frühere richtige Schreibweise) begegnen wir in der Geschichte des St. Georgener Klosters schon früh. Das Kürnachthal gehörte den Herzogen von Zähringen.« Kalchschmidt schildert nun ausführlich den Wandel der dortigen Besitzverhältnisse und erwähnt dabei zunächst einen etwa 1175 mit dem Kloster St. Georgen im Schwarzwald geschlossenen Grundstücksvertrag, der allerdings das untere Kirnachtal betraf. Mit den später zwischen der hiesigen und der Tennenbacher Abtei strittigen Besitzansprüchen auf jene Güter habe sich sogar der Papst befasst und sie im Jahr 1187 zu Gunsten St. Georgens entschieden.

Unserem Kloster gelang es in den folgenden beiden Jahrhunderten, sein Eigentum im Kirnachtal immer weiter zu vermehren. In jener Zeit verschlechterte sich nämlich die wirtschaftliche Lage der kleineren adligen Grundherren im Allgemeinen ganz erheblich. Nicht nur Besitzteilungen, sondern der Preisverfall bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen und ein laufender Geldwertschwund, dazu die rechtliche Unmöglichkeit, die von den Bauern zu leistenden Abgaben zu erhöhen, ließen ihre Einnahmen drastisch sinken. Da blieb oft kein anderer Weg als der einer Grundbesitzveräußerung. Als Käufer traten dann vielfach wohlhabende Abteien auf.

Wahrend das hiesige Kloster teilweise sein Eigentum im unteren Kirnachtal 1383 an Bürgermeister Hans Heimburger zu Villingen verkaufte, »ist das obere ThaI«, das bis 1292 im Besitz des Grafen von Fürstenberg als dem Erben der Zähringer war, später »immer bei St. Georgen geblieben und hat zum Unterschied von dem unteren Teil den Namen Oberkirnach bekommen«, so Pfarrer Kalchschmidt wörtlich.

Somit ist die Geschichte des Ortes mit der von St. Georgen aufs engste verknüpft. Man lebte - und das meist besser als bei weltlichen Grundherren - unter dem Krummstab und huldigte als Untertan dem jeweiligen Abt. Verantwortlich für den Schutz eines Klosters und die Verteidigung seiner Rechte waren die sogenannten Schirmvögte: für St. Georgen nach seinem Stifter Hezelo und dessen Sohn Hermann zunächst Herzöge von Zähringen, von 1245 an für zweihundert Jahre die benachbarten Herren von Falkenstein und ab Mitte des 15. Jahrhunderts die Grafen und späteren Herzöge von Württemberg. Von ihnen wird noch verschiedentlich die Rede sein.

Übrigens lag auf den Schultern der St. Georgener Äbte neben ihren vielen anderen Aufgaben das Amt des Gerichtsherrn für das Klostergebiet, also auch für Oberkirnach. Sie übten die Rechtssprechung sogar in schwereren Fällen, in denen es Freiheitsstrafen zu verhängen galt, aus. Todesurteile auszusprechen, war jedoch den bereits erwähnten Schirmvögten vorbehalten. Bei solchen Gerichtsverfahren erschienen die Herzöge von Württemberg natürlich nicht selbst, sondern ließen sich durch ihren in Hornberg amtierenden Obervogt vertreten. Die »niedere Gerichtsbarkeit«, zum Beispiel wegen Schlägereien und Ehrkränkungen, übte der örtliche Vogt, so nannte sich früher der Bürgermeister, aus. Dessen Oberinstanz bildete das Kerngericht. Das St. Georgener Keller- oder Kerngericht bestand aus den Vögten von Brigach, Oberkirnach und St. Georgen sowie weiteren von der Kirchspielgemeinde vorgeschlagenen Richtern. Aus der Tatsache, dass lange Zeit der Vogt von Brigach den Gerichtsvorsitz innehatte, und dieser Ort sowie auch Oberkirnach jeweils mehr Richter als St. Georgen stellten, lässt sich schließen, dass die beiden erstgenannten Gemeinden anfänglich mehr Einwohner als die bürgerliche Siedlung beim Kloster zählten.

Begehrtes Marktrecht

Ein für die damalige Zeit besonders in wirtschaftlicher Hinsicht bedeutendes Ereignis sei kurz erwähnt: Am 21. August 1507 verlieh Kaiser Maximilian I. St. Georgen das begehrte Marktrecht. Dies zunächst für zwei Jahrmärkte am St. Georgs- und St. Michaelstag sowie einen Wochenmarkt, der jeweils samstags abgehalten wurde. Wie vorteilhaft war es gerade für die landwirtschaftlich orientierten Stabsgemeinden, zu denen ja Oberkirnach gehörte, nunmehr auf dem relativ nahen Markt im eigenen Herrschaftsgebiet die notwendigen Bedarfsgüter, die man nicht in der Lage war, selbst zu erzeugen, hinzukaufen zu können, und wie wichtig, die Möglichkeit zu haben, dort die nicht benötigten Eigenprodukte zum Verkauf anzubieten! Märkte zogen schon seinerzeit die Leute an, zumal sich die ursprüngliche Selbstgenügsamkeit inzwischen mehr und mehr gelockert hatte, und die Bedürfnisse der Menschen allmählich stiegen.

Neben der hauptsächlich betriebenen Landwirtschaft, auf die in diesem Buch ein anderer Beitrag ausführlich eingeht, begann sich in Oberkirnach von 1604 an ein weiterer Wirtschaftszweig zu entwickeln. In jenem Jahr hatte man im Auftrag des Landes Württemberg damit angefangen, am Kesselberg beim Hirzwald nach Erz zu graben. Ab 1630 gab es dann dort für ein paar Jahre ein Eisenbergwerk. Das gewonnene Erz war allerdings etwas zu hart, weshalb es mit den weichen Eisenerzen aus Hochmössingen und Fluorn gemischt werden mußte. Aus jenen Gruben förderte man späten auch normal hartes Erz in genügender Menge, und so wurde dann das Oberkirnacher Bergwerk aus Kostengründen leider stillgelegt. Dies mag man umso mehr bedauern, als der Bergbau in früheren Zeiten bekanntlich einen beachtlich hohen Stellenwert besaß. Welche Entwicklung hätte unser Ort mit jenem Industriezweig wohl genommen? Eine Frage, deren Beantwortung der Phantasie des Lesers überlassen bleibt.

Unter württembergischer Landeshoheit

Für unser Kirchenspiel leitete das 16. Jahrhundert im Zuge der Reformation eine politische Wende ein, die auch das Leben der Einwohner im persönlichen Bereich entscheidend beeinflusste: Nach dem damaligen Rechtsgrundsatz »Wer das Land beherrscht, hat auch die Religion (seiner Untertanen) zu bestimmen«, führte Herzog Ulrich von Württemberg in seinem Land den evangelischen Glauben ein und wandelte die Schutzvogtei über das hiesige Kloster in die volle Landeshoheit um. Die Mönche in St. Georgen, die sich nicht nach den herzoglichen Anordnungen richten und auch die neue Lehre nicht annehmen wollten, mussten 1536 das Kloster verlassen. Sie fanden zunächst in Rottweil Aufnahme und ließen sich später in Villingen nieder.

Zur Verwaltung des klösterlichen Besitzes etablierte sich nun in St. Georgen ein württembergisches Klosteramt, geleitet von einem Amtmann. Er setzte die ihm unterstellten Vögte in den Gemeinden ein. Sie hatten dort vor allem die herzoglichen Gesetze und Anordnungen zu vollziehen. Für ihre Tätigkeit, die sie von Fronarbei freistellte, erhielten sie in der Regel Naturalien. So hatte einst der Oberkirnacher Vogt dem Amtmann den Empfang von vier Sestern Roggen als Besoldung für sein Vogtsamt quittiert.

Als 1630 auf Grund eines Reichskammergerichtsurteils - diese hohe Behörde hatte ihren Sitz in Speyer - das St. Georgener Kloster an den katholischen Abt zurückgegeben wurde, sollten die hiesigen Einwohner wieder den katholischen Glauben annehmen; und es ist auch überliefert, dass der seinerzeitige Oberkirnacher Stabsvogt Kaltenbach den ersten katholischen Gottesdienst in der Klosterkirche besuchte.

Wesentlich größere Probleme als die des geforderten Konfessionswechsels brachte allerdings auch für die Einwohnerschaft unseres Ortes der Dreißigjährige Krieg: 1634. musste Oberkirnach allein drei Plünderungen über sich ergehen lassen und 1642 sowie im Jahr darauf nochmals drei. Man sehnte sich, wie überall in den deutschen Landen nach Frieden, der dann ja auch 1648 in Osnabrück geschlossen wurde. Jenes Vertragswerk war insofern für St. Georgen und sein Umland von besonderer Bedeutung, als man hierin das Kloster mit dem Teil seines Besitzes, der einst unter der Schirmherrschaft der Herren von Falkenstein stand, dem Herzogtum Württemberg zusprach, weil es im Stichjahr 1624 bereits zu Württemberg gehört hatte. Damit kehrte unser Kirchspiel ins schwäbische Herzogtum und zum evangelischen Glauben zurück. Eine württembergische Kommission nahm Ende 1648 in der St. Georgener Laurentiuskirche den hiesigen »Unterthanen« feierlich den Huldigungseid ab.

Apropos St. Georgener Lorenzkirche: als 1680 für ihren total baufälligen Turm eine fast vollständige Erneuerung fällig war, beglich Oberkirnach seinen Anteil an den Baukosten aus dem Heiligenfonds von St Wendel. Über jene früher vielbesuchte Wallfahrtskapelle, die einst im Hagzinken stand, berichtet ein anderes Kapitel der Jubiläumsschrift.

Schon in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts besaß der Ort ein Schulhaus, das im bereits erwähnten Dreißigjährigen Krieg einer Brandschatzung zum Opfer fiel. Aus zwei Dienstzeugnissen, welche die Gemeinde 1620 und 1622 Lehrern ihrer Dorfschule ausstellte, geht hervor, dass man seinerzeit in Oberkirnach nur im Winterhalbjahr, und zwar von Martini bis Judica, Unterricht erteilte. Gegeben wurden Beten, Schreiben und Lesen als Fächer. Eine weitere verlässliche Nachricht über das örtliche Schulwesen entstammt einem Protokoll von 1716. Hierin steht zu lesen, dass die Gemeinde Oberkirnach, schon seit langer Zeit berechtigt, in der hinteren Stube des ehemaligen Bühlwirtshauses das ganze Jahr hindurch Schule halten zu lassen, dem Gasthausbesitzer hierfür jeden Herbst vier Klafter Brennholz kostenlos zu liefern habe. Lehrer Blum, der 1813 dort 34 Schüler unterrichtete, bezog dafür ein jämmerliches Jahresgehalt von 25 Gulden. Das entspricht einem heutigen Geldwert von knapp 500 Mark! Allerdings sollen Blums Schulkenntnisse auch recht gering gewesen sein. Allmählich stieg die Zahl der Schüler im Ort, und so wissen die Annalen vom Bau eines Schulhauses im Jahr 1839 zu berichten.

Im 18. Jahrhundert blühte in den Gemeinden des Kirchspiels das Hausuhrmachergewerbe auf, mit dem sich viele Familien ihr tägliches Brot verdienten. In diesem Zusammenhang ist auch überliefert, dass der 1747 geborene, aus Oberkirnach stammende Johannes Weißer (»Richebe- Hans«) nach Übernahme des Nestmichelshofes in Sommerau dort neben der Landwirtschaft erfolgreich das Uhrmacherhandwerk betrieb. Ein Enkel von ihm, Joseph Weißer, war einige Jahre Bürgermeister von St. Georgen; dessen Bruder Andreas besaß die ehemalige Stroh- und Palmhutfabrik, auf deren Areal heute die hiesige Bezirkssparkasse steht.

Von Württemberg an Baden

Kehren wir jedoch zum Anfang des 19. Jahrhunderts zurück, als sich das mit Napoleon verbündete Baden durch ganz bedeutenden Gebietszuwachs von einem zersplitterten Territorium zu einem in sich geschlossenen, festgefügten Staat verwandelte. Das Großherzogtum vereinigte nun über achtzig verschiedene, bisher souveräne Herrschaftsgebiete zu einer Einheit.

1810 wurde dann eine Verschiebung der Landesgrenze zwischen Baden und Württemberg beschlossen. Dadurch kam auch St. Georgen mit seinem Umland nach 275jähriger Zugehörigkeit zu Württemberg an das Großherzogtum Baden. Das bedeutete nicht nur einen Wechsel der Landesherrschaft, sondern brachte überdies in der nachgeordneten Verwaltungsstruktur gewisse Veränderungen mit sich: Während man St. Georgen dem Bezirksamt Hornberg unterstellte, wurde das seinerzeit 260 Einwohner zählende Oberkirnach dem Bezirksamt Villingen zugeteilt. Beide Ämter gehörten damals dem Donaukreis an.

Doch ab 1832, als das Großherzogtum Baden in vier Kreise neuer Art (in etwa vergleichbar mit unseren heutigen Regierungspräsidien) eingeteilt wurde, tat sich in unserem Bereich eine neue Gebietsgrenze auf. Denn St. Georgen zählte als Bestandteil des Amtes Hornberg nunmehr zum Oberrheinkreis, der von Freiburg aus verwaltet wurde, und für Oberkirnach, dem Bezirksamt Villingen unterstellt, wurde der Seekreis: mit Sitz in Konstanz zuständig. Eine verwaltungsmäßige Wiedervereinigung beider Gemeinden fand schließlich 1864 statt, als St. Georgen ebenfalls zum Bezirksamt Villingen kam, und man gleichzeitig die erwähnten vier Großkreise durch elf Kreisverbände (einen davon gab's für Villingen) ersetzte.

Das liest sich alles zwar reichlich trocken - wie die Verwaltungsmaterie eben öfter zu sein pflegt -, aber man sieht: Mit Gebiets- und Kreisreformen beschäftigte sich die Regierung auch schon im 19. Jahrhundert .Ihre Erlasse begannen seinerzeit gerne mit der schönen Einleitung: »Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben zum Vollzuge der allerhöchstlandesherrlichen Verordnung ...allergnädigst zu beschließen geruht...«

Die geschilderte positive Entwicklung Badens hatte für Oberkirnach in gewisser Hinsicht eine einschneidende Auswirkung. Der Blick auf eine historische Karte zeigt uns sofort die exponierte Lage der Gemeinde. Mit ihrer Gemarkung grenzte sie nämlich zu württembergischer Zeit im Süden ein Stück an Fürstenberger Territorium und im Westen und Osten an Gebiete unter österreichischer Landeshoheit. Im vorderösterreichischen Stab Rohrbach hatte das Haus Habsburg beim ehemaligen Gasthaus Schlempen eine Zollstation eingerichtet. Unter neuer Flagge ist dann die Grenzgemeinde zu badischem Binnenland geworden.

Dass sich die veränderte Situation für Oberkirnach zunächst recht günstig auswirkte, sehen wir an der zunehmenden Einwohnerzahl. Sie stieg von 264 im Jahr 1812 auf 465 anno 1850 an, um dann allerdings bis 1890 wieder auf 343 Bewohner abzusinken. Die Ursache hierfür liegt auf der Hand: Die sich in jenen Jahrzehnten auch in einer Reihe von Schwarzwaldorten verstärkende Industrialisierung machte, wie man weiß, so manchem Dorf zu schaffen, weil viele der bisher in der Landwirtschaft tätigen Arbeitskräfte wegzogen, um ihr täglich Brot in der Fabrik zu verdienen. Dieser Trend setzte sich - bei zusätzlichem Rückgang der Schwarzwälder Hausindustrie zugunsten der Fabrikbetriebe - im 20. Jahrhundert, wenn auch abgeschwächt, fort.

Zur näheren Erläuterung des eben Gesagten einige detaillierte Angaben aus der Oberkirnacher Berufsstatistik: Schon immer nahmen hier die Landwirte mit großem Abstand die erste Stelle ein. Zu Anfang bis etwa Mitte des 19. Jahrhunderts gab es in der Gemeinde außerdem zwanzig Hausuhrmacher und 16 Taglöhner sowie eine ganze Reihe Handwerker der verschiedensten Berufe. In der Zeit nach 1850 bis in unser Jahrhundert hinein nahm die Zahl der ortsansässigen Arbeiter stark ab, und auch das Handwerk ging in seiner Vielfalt zurück.

An dieser Stelle sei noch erwähnt, dass Oberkirnach von 1768 bis 1875 erwachsene Gemeindeangehörige als Bürger aufnahm. Der hierfür zu leistende Beitrag war, da das Dorf keine gemeinsam zu nutzenden Allmendgüter und auch kein Bürgerholz aus Gemeindewaldungen zu vergeben hatte, nur gering. Der bürgerliche Nutzen bestand lediglich darin, dass die Gemeinde einem Bürger »Dach und Fach« geben musste und ihn bei Unglücksfällen sowie im Alter zu unterstützen verpflichtet war. All dies natürlich nur bei entsprechender Bedürftigkeit.

Wenn auch Oberkirnach nie aus dem Vollen schöpfen konnte, so war es dem Ort doch möglich, 1911 ein größeres Projekt zu verwirklichen: Mit dem Bau ihres kombinierten Schul- und Rathauses schuf sich unsere Gemeinde einen markanten Mittelpunkt für jung und alt. Wie heißt doch der altbekannte Spruch: »Geht dir der Rat aus, so geh' aufs Rathaus!«

Neben den vielfältigen Aufgaben, die ein Bürgermeisteramt - sei es nun groß oder klein - zu bewältigen hat, kam im Juni 1925 noch die große Volkszählung, die seinerzeit in ganz Deutschland durchgeführt wurde, hinzu. Einige damals für Oberkirnach ermittelte Zahlen seien hier wiedergegeben. Der Ort hatte in jenem Jahr insgesamt 359 Einwohner, davon allein 160 Kinder und Jugendliche unter 21 Jahren, 47 von ihnen waren im schulpflichtigen Alter. Bei den 199 Erwachsenen - volljährig wurde man damals mit 21 - gab es nur sieben über 70jährige Dorfbewohner. In der Gemeinde lebten vier selbständige Handwerksmeister und 21 auswärts tätige Industriearbeiter. Die große Mehrzahl der Einheimischen betrieb ihre Landwirtschaft mit stattlichem Viehbestand: 41 Pferde, 489 Stück Rindvieh, 190 Schweine und 23 Ziegen standen in den örtlichen Ställen. Das Federvieh hat man nicht gezählt, dafür aber die Bienenstöcke mit immerhin 76 Stück. Es kam also schon einiges zusammen, was das Rathaus zu registrieren hatte.

Wappen und Siegel der Gemeinde

Wichtige amtliche Dokumente werden nach altem Brauch mit einem Siegel versehen. Die recht einfach gehaltenen Oberkirnacher Gemeindesiegel aus dem 19. Jahrhundert zeigten die Buchstaben O K N, umgeben von Sternen oder Ranken. 1902 schlug dann das Generallandesarchiv der Gemeinde ein Wappen vor, das den Ortsnamen versinnbildlichte: Da das mittelhochdeutsche Wort »Kürn« Mühle und der althochdeutsche Begriff »aha« Wasser bedeuten, sollte das Gemeindewappen aus dementsprechenden Symbolen gestaltet werden. 1951 griff das hiesige Ratsgremium diese alte Empfehlung, mit Gemeindewappen der man sich ursprünglich nicht anzufreunden vermocht hatte, auf und wählte ein Gemeindewappen, das »in Silber über einem gewellten blauen Schildfuß ein rotes Mühlrad« zeigt. So lautet seine offizielle Beschreibung, wobei anzumerken wäre, dass der gewellte blaue Schildfuß das Element »Wasser« sehr gut darstellt. Ihn hat man beim einfarbigen Gemeindesiegel von 1952 optisch wirkungsvoll durch mehrere parallellaufende Wellenlinien ersetzt. Ja - die Wappen und Siegel der Gemeinden sind in aller Regel nicht nur hervorragend gestaltet, sondern besitzen einen hohen Aussagewert.

Verweilen wir mit unserer heimatgeschichtlichen Betrachtung jedoch noch etwas bei den zwanziger und dreißiger Jahren. Von 1925 wissen die Annalen zu berichten, dass die Elektrizitäts- Gesellschaft Triberg in Oberkirnach damit begann, die Stromversorgung einzurichten. Die Restelektrifizierung zog sich allerdings bis 1961 hin. Anfang der dreißiger Jahre - es war die Zeit der allgemeinen wirtschaftlichen Depression und Arbeitslosigkeit - ging es auch unserer Gemeinde finanziell schlecht. So musste der 1934 von der Bürgerschaft geäußerte Wunsch nach einem örtlichen Schwimmbad leider unerfüllt bleiben. Damals tauchte übrigens die dann allerdings verworfene Idee auf, wie vor 300 Jahren wieder Eisenerz am Kesselberg zu fördern.

Bemerkenswert ist eine gewisse unpolitische Haltung des hiesigen Gemeinderats während des Dritten Reiches. Zwar bestanden im seinerzeit 350 Einwohner zählenden Dorf, wie überall in Deutschland, eine Ortsgruppe der NSDAP und die obligatorischen Jugendformationen, aber der bisherige Bürgermeister behielt sein Amt, und auch dem Volksbund für Deutschtum im Ausland trat man nicht bei. Die hieraus ersichtliche Distanz zur braunen Ideologie hatte ihre Wurzeln im damals gar nicht gerne gesehenen festen christlichen Glauben.

Aus dem Ratsprotokoll vom August 1943 ist im Übrigen zu entnehmen, dass die Gemeinde für den Straßendienst in zwei Bezirke (Ober- und Untertal) aufgeteilt wurde, welche zwei Straßenwarte in Ordnung hielten. 1945 beanspruchte der Wegwartdienst im Obertal 16 Stunden pro Woche. Hierfür bezahlte die Gemeinde im Monat 34 Reichsmark. Im Winter zusätzlich beschäftigte Schneeräumkräfte erhielten 50 Pfennig pro Stunde. Als 1947 die Durchgangsstraße durch Holzabfuhr stark mitgenommen war, verlangte die französische Besatzungsmacht die Straßeninstandsetzung, so eine weitere Protokollnotiz.

Wege- und Straßenausbau ist für Oberkirnach als weitläufige Streusiedlung - die örtliche Gemarkungsfläche beträgt immerhin 1.192 Hektar - eine Daueraufgabe, die in den zurückliegenden Jahren erhebliche Geldmittel verschlang. Es erfolgte insbesondere der Bau einer ganzen Reihe von Wirtschaftswegen durch den sogenannten Grünen Plan und der großzügige Ausbau der durch den Ort führenden Kreisstraße. Dort ließ die Gemeinde Gehwege anlegen und eine Straßenbeleuchtung installieren. Außer dieser rund 6,5 Kilometer langen Kreisstraße verfügt Oberkirnach über 6 Kilometer Gemeindeverbindungswege. Das gesamte geteerte Gemeindewegnetz ist 20 Kilometer lang. Da verursacht die Schneeräumung im Winter bei einer Höhenlage zwischen 800 und 1024 Meter über dem Meer schon einen recht erheblichen Aufwand, der jedoch bei der heutigen Motorisierung einfach notwendig ist Dies gerade auch angesichts des täglichen Schulbus- und Berufsverkehrs.

Über die Anzahl der beruflichen Pendler liegen zwar keine aktuellen Angaben vor, jedoch gibt es eine genaue Statistik über die örtlichen Einwohnerzahlen. Auf sie sei kurz eingegangen. Lebten 1950 in Oberkirnach noch 323 Menschen, so sank ihre Zahl bereits 1957 unter 300 ab, um auch danach weiter auf den heutigen Stand von 240 Bürgern abzunehmen. Das einzig Erfreuliche an dieser bedauerlichen Negativbilanz, die - zum Trost sei's gesagt - vielerorts auch nicht günstiger aussieht, ist darin zu erblicken, dass sich der Minustrend in den letzten Jahren hier verlangsamt hat Der örtliche Bevölkerungsschwund ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass das ganze Gemeindegebiet baurechtlich gesehen als Außenbereich gilt Somit ist ein Wohnhausbau nur in unmittelbarer Beziehung zu einem bestehenden Gehöft möglich. Deshalb hatte Oberkirnach schon Anfang der siebziger Jahre die Erschließung eines Baugebietes im Ortsmittelpunkt in Rathausnähe geplant Das Projekt ließ sich jedoch nicht realisieren. Vorsorglich weist aber der Flächennutzungsplan für die Gesamtstadt St Georgen ein kleines örtliches Baugebiet für den Oberkirnacher Eigenbedarf aus.

Schul- und Gemeindereform

Bereits in den sechziger Jahren begann die Regierung von Baden- Württemberg, ihre Vorstellungen über moderne Strukturen für unser Bundesland zu entwickeln und zu verwirklichen. Dies durch mehrere weitreichende Reformen, die in erster Linie das Schulwesen und die Verwaltung betrafen. Ob nun im Bildungs- oder Kreis- und Gemeindebereich - überall strebte man größere Einheiten in der Erwartung effektiverer Leistung und besserer Entwicklungsmöglichkeiten an. Landauf, landab berührten diese Reformen unmittelbar jeden Ort, ob groß oder klein; so natürlich auch Oberkirnach. In jener Zeit hatte der Gemeinderat viele Entscheidungen von großer Bedeutung für die Zukunft des Ortes zu treffen. Im Rückblick darf man sagen, dass das Gremium durch wohlüberlegtes Handeln im Rahmen seiner Möglichkeiten für die Gemeinde und ihre Bürger Optimales erreicht hat.

Einzelne Stationen auf dem Weg zur Gegenwart seien ins Gedächtnis zurückgerufen. Im Vollzug des Schulentwicklungsplanes, wie es amtlich so schön hieß, besuchen die Oberkirnacher Hauptschüler der Klassen 5 bis 9 ab 1. Dezember 1966 die Nachbarschaftsschule in St. Georgen. Dafür hatten sich, wie dem damaligen Ratsprotokoll zu entnehmen ist, zuvor auch die Eltern der betreffenden Schulkinder mehrheitlich ausgesprochen.

Zunächst war man in Oberkirnach jedoch bestrebt, die Grundschule am Ort zu behalten. So hat auch die Gemeinde ihr Schul- und Rathaus 1969/10 mit einem Aufwand von rund 180.000 Mark umbauen und gründlich renovieren lassen. Während der knapp einjährigen Bauzeit fand der Schulunterricht im Gasthaus Waldeck statt. Drei Jahre blieb die Oberkirnacher Grundschule dann noch bestehen. Besonders infolge der rückläufigen Schülerzahlen wurde der Unterricht im Zuge des Schulentwicklungsplanes III zum 1. August 1973 hier eingestellt. Eine Abschiedsfeier markierte den würdigen Schlusspunkt für den örtlichen Schulbetrieb. Seither besuchen die Erst- und Zweitklässler in der Mehrzahl die Schule in Brigach, andere zusammen mit den älteren Kindern der Klassen drei bis neun die Robert- Gerwig- und weiterführende St. Georgener Schulen.

Jedoch nicht nur für die Schüler führte der Weg in die Bergstadt, sondern auch die Gemeinde schloss sich - getreu alter historischer Bindungen - mit St. Georgen zusammen: Seit 1970 beschäftigte sich das Oberkirnacher Ratsgremium immer wieder mit den Gemeindereform-Bestrebungen des Landes Baden-Württemberg, die Entwicklung aufmerksam verfolgend. Im Jahr darauf verhandelte man dann mit St. Georgen und außerdem mit Unterkirnach. Allerdings waren die von unserer Gemeinde angestrebten Ziele damals nicht zu erreichen, weshalb die Gespräche zunächst nicht fortgeführt wurden.

Eine Vorentscheidung fällten dann die hiesigen Bürger bei einer Anhörung im Frühjahr 1973, als sie mit 78 Prozent der abgegebenen Stimmen sich für die Zuordnung Oberkirnachs zur Einheitsgemeinde St. Georgen aussprachen. Nur 22 Prozent votierten für Unterkirnach. In erneuten Verhandlungen mit St. Georgen kam ein Vertragsentwurf über die freiwillige Eingliederung der Gemeinde Oberkirnach in die Stadt St. Georgen zustande, dem die hiesigen Bürger und der Gemeinderat am 23. Dezember 1973 mit großer Mehrheit zustimmten. Seit 1. Februar 1974 ist nun Oberkirnach Stadtteil von St. Georgen.

Zwei Wochen zuvor hatte das Ratsgremium noch einstimmig beschlossen, für Oberkirnach erstmals Straßen- und Wegbezeichnungen einzuführen. Ehedem trugen die Gebäude lediglich fortlaufende Nummern, und zwar von 1 bis 64, dazu gab es noch vier mit dem Buchstabenzusatz »a«. Mit den jetzigen, gut gewählten 16 Straßen- und Wegnamen - in ihnen leben alte Gewann - und sonstige historisch-geographische Bezeichnungen fort - sowie den dazugehörigen Hausnummern haben es nun der Briefträger und alle Ortsunkundigen natürlich viel leichter.

Mit vereinten Kräften

Im 14. Jahr geht Oberkirnach nun schon seinen Weg gemeinsam mit St. Georgen. Mit vereinten Kräften sind seither der Gemeinderat der Stadt unter Bürgermeister Günter Lauffer zusammen mit dem hiesigen Ortschaftsrat - seit 1975 ist Josef Stockburger Ortsvorsteher in Oberkirnach - erfolgreich bemüht, die anstehenden örtlichen Probleme zum Wohl der Bürger zu lösen. Gemessen an der jahrhundertelangen gemeindlichen Existenz sind die Jahre seit 1974 gewiss nur eine kurze Zeitspanne. Aber in ihr konnten bereits eine ganze Reihe wichtiger Dinge erledigt werden. Wie freuten sich beispielsweise die Männer der Oberkirnacher Feuerwehr, als Bürgermeister Günter Lauffer ihnen am 15. März 1974 ihr neues Löschfahrzeug übergeben und sie im Herbst des folgenden Jahres das von der Stadt neu erstellte Feuerwehrgerätehaus, angebaut an die Schule, in Besitz nehmen konnten.

Und auch für die Platzwünsche der Fußballjugend hatte man ein offenes Ohr. Von Bedeutung ist es für jüngere Familien, einen Kindergarten im Ort zu haben. Ihn gibt es seit 1976 bis heute im oberen Saal der ehemaligen Schule; allerdings musste er wegen Kindermangels von Juli 1982 bis Ostern 1985 seine Pforten leider vorübergehend schließen. Beachtliche Beträge investierte die Stadt bisher in den für Oberkirnach so wichtigen Ausbau des Gemeindewegnetzes und der Hofzufahrtswege. Nicht zuletzt im Hinblick auf das Jubiläumsfest erfolgte nun eine gründliche Rathaus- Renovierung. Dieser dörfliche Mittelpunkt - er ist Ort für gemeindliche Aktivitäten, Gottesdienste sowie sonstige Veranstaltungen und Zusammenkünfte, auch Vereins- Probelokal - erstrahlt jetzt wieder in frischem Glanz.

Zum großen Dorffest 1987 präsentiert sich Oberkirnach als idyllischer Ort, mit seinen großen Einzelhöfen in reizvoller Landschaft gelegen, geprägt von vorbildlich betriebener Höhenlandwirtschaft. Darüber hinaus bietet er mit Schwarzwälder Gastlichkeit seinen Feriengästen gemütliches Obdach. Wer in seinem Urlaub Ruhe und Erholung sucht, findet sie hier in idealer Weise. Nicht zu vergessen die bedeutende Rolle, die Oberkirnach im Winter für die Naherholung spielt. Allein vier Schilifte zeugen von der Beliebtheit dieses gerne besuchten Wintersportgebietes. Und als Einheimischer fühlt man sich mit seinem Dorf - selbst wenn man zur Arbeit einen weiteren Anfahrtsweg hat - eng verbunden.

Das rege Vereinsleben ist ein ausgezeichneter Gradmesser für die hier übliche Gemeinschaft und den aktiven Bürgersinn: Ihren mit großem Idealismus geleisteten Dienst zum Wohle des Nächsten versieht die 1940 gegründete Freiwillige Feuerwehr nun schon seit nahezu einem halben Jahrhundert. Von vielen sportlichen Erfolgen und Aktivitäten zur Pflege der Kameradschaft und Unterhaltung weiß die Chronik des 1922 ins Leben gerufenen Radfahrervereins »Radlerliebe« Oberkirnach- Brigach zu berichten. Kultureller Träger der Dorfgemeinschaft ist der 1952 gegründete Gesangverein »Kirnachklänge«, der regelmäßig mit Konzerten und weiteren, der Geselligkeit dienenden Veranstaltungen erfreut. Was wäre heute ein Ort ohne Fußball? Der FC Oberkirnach betreibt mit Engagement diesen alt und jung begeisternden Sport. Die erwähnten örtlichen Vereine leisten zusammen mit dem hiesigen BLHV- Ortsverband zum guten Gelingen des Jubiläumsfestes ihren Beitrag. Ja - in Oberkirnach, abseits vom hektischen Weltgetriebe, ist aus vielerlei Gründen die Welt noch in Ordnung.

Hans- Martin Müller
Quelle: Chronik Oberkirnach